Bern, 16.09.2010

(ni) Nachdem das Aargauer Kantonsparlament am Dienstag einer Standesinitiative für ein nationales Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum zugestimmt hatte, musste sich nun der Berner Grosse Rat mit einer ähnlichen Motion befassen. Die intensive Debatte über ein Verschleierungsverbot in Schulen und Verwaltungsgebäuden endete mit einer Niederlage für den EVP Motionär Daniel Steiner-Brütsch. Bern wird keine Standesinitiative beim Bund einreichen.

In Bern wurde der Vorstoss kontroverser diskutiert.

Steiner-Brütsch forderte ein Verbot von Gesichtsschleiern in Schulen und Verwaltungsgebäuden. Damit ging seine Forderung zwar weniger weit als die des Aargauer Kantonsparlaments. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass ein solches Gesetz die Religionsfreiheit massiv einschränke. Die Debatte löste im Berner Rathaus denn auch viele Emotionen aus. Acht Fraktionssprecher und über ein Dutzend Einzelsprecher traten ans Rednerpult, um ihren Standpunkt zu erläutern.

FDP erinnert an die Glaubensfreiheit

Neben Repräsentanten der evangelisch-christlichen EVP wurde der Vorstoss vor allem von der rechtsgerichteten SVP unterstützt. Sie nutzte die Debatte einmal mehr, um fälschlicherweise die Problematik der Migrationspolitik mit einer «schleichenden Islamisierung» gleichzusetzen. Ihr Fraktionssprecher Ueli Augstburger findet, dass eine Regelung auf Bundesebene zu diesem Thema zu begrüssen wäre.

Andere bürgerliche Parteien zeigten nur teilweise Verständnis für das Anliegen. Seitens der FDP erinnerte Adrian Kneubühler an die Glaubensfreiheit in der Schweiz. Auch BDP-Grossrat Peter Studer wollte dem Vorstoss in dieser Form nicht folgen, auch wenn er teilweise die Stossrichtung der Forderung nachvollziehen könne.

Auch in der GLP/CVP-Fraktion gab es unterschiedliche Meinungen. Verhüllte Personen könnten bei den Mitmenschen Angst auslösen, sagte GLP-Grossrätin Franziska Schöni-Affolter. Dies beziehe sich aber nicht nur auf verschleierte Muslimas.

Keine Probleme in den Schulen

Die linken und grünen Parteien lehnten ein generelles Verbot klar ab. Ein Dialog und pragamtische Lösungen seien angebrachter, sagte die Fraktionssprecherin der Grünen, Anna- Magdalena Linder. SP-Grossrätin Flavia Wasserfallen sprach gar von einer «Phantomjagd». In der Schweiz und insbesondere im Kanton Bern gebe es kaum vollverschleierte Frauen.

Ihr Parteikollege Roland Näf-Piera fügte an, der Schleier sei an den Berner Schulen kein Problem. In den dreissig Jahren als Lehrer habe er eine einzige Diskussion wegen eines Kopftuches gehabt. Eine vollverschleierte Schülerin gebe es an Berner Schulen onehin nicht. Auch FDP-Grossrat Pierre-Yves Grivel konnte diese Aussagen bestätigen.

Nach einer hitzigen Debatte wird der Vorstoss verworfen

In der Diskussion spielte auch die Parteipolitik eine Rolle und so warf die SVP der SP vor, sich nicht für eine Vorlage einzusetzen, die angeblich die Frauen schützen solle. Die SP konterte, die SVP sei scheinheilig, zumal sie in Gleichstellungsfragen sonst stets die Unterstützung verweigere.

Auf die hitzige Debatte folgte die Abstimmung. Das Kantonsparlament verwarf den Vorstoss für eine Standesinitiative mit 73 Nein- und 69 Ja-Stimmen bei vier Enthaltungen äusserst knapp. Damit bleibt der Aargau bis anhin der einzige Kanton, der mittels Standesinitiative versucht, ein schweizweites Niqab-verbot einzuführen.

Quelle: Berner Zeitung, Absage an Verschleierungsverbot, 15.09.2010

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Veröffentlicht am: 16. September 2010
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